Salzburg (OTS) – Elternschaft ist Teamarbeit: Wer gemeinsam
Verantwortung trägt,
stärkt nicht nur die Beziehung zum Kind, sondern auch zueinander.
Eltern prägen gemeinsam die Entwicklung ihres Kindes, denn sie wirken
nicht nur aufs Kind, sondern auch aufeinander ein und schaffen
zusammen ein komplexes System, in dem neue Dynamiken entstehen. In
einer aktuellen Studie zur frühen Familienforschung haben
Wissenschaftler*innen am Institut für Early Life Care der Paracelsus
Medizinischen Privatuniversität PMU in Salzburg untersucht, wie
Erstlingseltern sich gegenseitig in ihrer Feinfühligkeit und
Mentalisierungsfähigkeit unterstützen können – also in der Fähigkeit,
eigene Gefühle und jene der anderen wahrzunehmen und zu verstehen.
Selina Ismair, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Early
Life Care und Mitautorin der Studie „One and one makes three—mothers’
and fathers’ attachment, mentalizing and parenting sensitivity“ im
Gespräch:
Zwtl.: INTERVIEW
Ihre Studie stützt sich neben der Bindungstheorie auch auf die
Familiensystemtheorie, warum ist diese besonders relevant für
Untersuchungen zu früher Familienforschung?
Ismair : Aus der Forschung wissen wir, dass die frühen
Lebensjahre sehr prägend sind für die weitere kindliche Entwicklung.
Das Familiensystem stellt die Umwelt bzw. die Lebensrealität des
Kindes dar – es wird direkt in ein Familiensystem reingeboren, indem
jeder aufeinander wirkt und nicht isoliert agiert.
Was genau versteht man unter Familiensystemtheorie?
Ismair: Die Familiensystemtheorie sagt aus, dass es
Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Ebenen gibt. Genauso
ist Familie auch ein adaptives System; eine Familie interagiert und
handelt nicht immer gleich, sie kann sich gut an neue Bedingungen
anpassen, beispielsweise ein zweites Kind kommt hinzu, ein
Familienmitglied erkrankt etc. Dann kann sie die Familie im System
neu oder re-organisieren, es ist ein flexibles System, kein
statisches.
In Ihrer Studie wurden bei 40 Elternpaaren den Eltern die
Feinfühligkeit und die Fähigkeit zu mentalisieren gemessen. Wie war
dabei Ihre Vorgangsweise?
Ismair: Wir haben die Eltern und Kinder in unser Videolabor
eingeladen und Interaktionsvideos aufgezeichnet, um die
Feinfühligkeit zu analysieren. Dabei gibt es eine Mutter-Kind-Sequenz
und, je nach Ablauf, davor oder danach eine Vater-Kind-Sequenz. Die
Eltern bekommen die Anweisung, Zeit mit ihrem Kind so zu verbringen,
wie sie es auch zu Hause tun würden.
Zur Standardisierung saßen die Kinder in einer Wippe, die Eltern
ihnen gegenüber. So konnten wir mit unserem 360°-Videolabor beide
Gesichter optimal filmen. Falls ein Kind nicht mehr in der Wippe
sitzen wollte oder müde war, wechselten wir auf eine Spieldecke am
Boden oder beendeten die Aufnahme vorzeitig. Geplant waren jeweils 20
Minuten pro Sequenz.
Mittels standardisierter Methode wurden die Videos codiert. Man
durchläuft dafür ein Training inklusive Prüfung, um sicherzustellen,
dass man tatsächlich das auswertet, was man auswerten soll. Bewertet
wird u. a.:
–
Welche Signale sendet das Kind?
–
Erkennt das Elternteil diese Signale?
–
Wie reagiert es darauf?
–
Wie ist die allgemeine Stimmung?
Gab es dabei besondere Herausforderungen oder spannende Erkenntnisse?
Eine Herausforderung war das Training. Die meisten
Codierleitfäden stammen aus der Mutter-Kind-Forschung. Wir hatten
zwar auch Vater-Kind-Videos im Training, aber deutlich wenigere.
Anfangs war das ungewohnt, funktionierte dann aber gut. Anekdotisch
schön war, dass man einen Einblick in die Lebensrealität der Familien
bekam. Die Eltern waren oft sehr kreativ – sie haben das
„Dschungelbuch“-nacherzählt, sich Fingerspiele einfallen lassen oder
gesungen– es wurden nämlich nur drei Spielsachen bereitgestellt.
Wie wurde die Mentalisierungsfähigkeit gemessen?
Ismair: Die haben wir mit einem vorgefertigten Interview-Leitfaden
erhoben, dem „Eltern-Entwicklungs-Interview“. Darin geht es um die
Beziehung zwischen Elternteil und Kind. Beispiele für Fragen sind:
–
„Erzählen Sie eine Situation aus der letzten Woche, in der Sie
und Ihr Kind auf einer Wellenlänge waren.“
–
„Wie haben Sie sich dabei gefühlt?“
–
„Wie glauben Sie, hat sich Ihr Kind gefühlt?“
Es werden auch herausfordernde Situationen erfragt, z. B. wenn
die Eltern ärgerlich waren oder Kinder quengelig. Ziel ist es, die
Fähigkeit zu erfassen, sowohl die eigenen als auch die kindlichen
Gedanken und Gefühle zu reflektieren. Bewertet wurde, wie gut Eltern
– selbst in stressigen Situationen – die Perspektive beider Seiten
berücksichtigen.
Wir haben zusätzlich in der Schwangerschaft die
Bindungsrepräsentation erhoben, hier wurde die eigene Kindheit
abgefragt, auch diese Interviews wurden nach einem standardisierten
Verfahren ausgewertet. Es ging dabei weniger darum, welche konkreten
Erfahrungen jemand gemacht hat, sondern wie gut diese im
Erwachsenenalter integriert wurden.
Was waren für euch die relevantesten Ergebnisse eurer Studie?
Ismair: Wir fanden einen Zusammenhang zwischen der
vorgeburtlichen Mentalisierungsfähigkeit der Mutter und der
nachgeburtlichen des Vaters. Seine Fähigkeit zu reflektieren bzw.
mentalisieren wiederum stand in Zusammenhang mit seiner
Feinfühligkeit. Es gab also eine Wechselwirkung von Mutter auf Vater
– allerdings nicht umgekehrt. Wir konnten auch zeigen, dass sich die
Fähigkeit zu mentalisieren zwischen den Messzeitpunkten wechselseitig
vorhersagt. Das bedeutet: Eine höhere vorgeburtliche
Mentalisierungsfähigkeit der Mutter hing mit einer höheren
nachgeburtlichen Fähigkeit des Vaters zusammen – und umgekehrt.“ Das
legt nahe, dass Eltern voneinander lernen können, und sich
gegenseitig als eine Art „role model“ also Vorbild sehen.
Kann man diese Ergebnisse auch auf andere Familienkonstellationen
übertragen?
Ismair : Direkt nicht, da wir nur Erstlingseltern im klassischen
Mutter-Vater-Kind-Modell untersucht haben. Aber die
Familiensystemtheorie geht grundsätzlich davon aus, dass solche
Wechselwirkungen auch in anderen Familienformen auftreten.
Wie lassen sich diese Erkenntnisse in den Erziehungsalltag
übertragen?
Ismair: Elternschaft ist etwas, das man teilt. Sich gegenseitig
als Vorbild zu dienen, kann sehr wertvoll sein. Niemand sollte die
alleinige Verantwortung für die emotionale Entwicklung und Erziehung
eines Kindes übernehmen (müssen). Es gibt fast immer mindestens eine
zweite Person, die zur Entwicklung und Erziehung beitragen,
unterstützen und entlasten kann. Das gilt auch für Alleinerziehende –
oft gibt es Großeltern, Freunde oder institutionelle Hilfen. Wie ein
altes Sprichwort sagt: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein
ganzes Dorf“.
Und was bedeutet das konkret für Unterstützungsprogramme, wie
Elternberatung, Geburtsvorbereitungskurse etc.?
Ismair: Das Verständnis von Vaterschaft ist im Wandel – weg vom
finanziellen Versorger hin zu einem gleichberechtigten Partner in der
emotionalen Entwicklung des Kindes. Viele Angebote richten sich aber
derzeit noch explizit oder implizit an Mütter. Wenn man Väter künftig
noch mehr anspricht, fühlen sie sich vielleicht eher eingeladen und
wahrgenommen.
Welche nächsten Schritte planen Sie in Ihrer Forschung?
Ismair: Wir wollen das Familiensystem noch genauer untersuchen
mit detaillierteren Daten zu den Dynamiken im Elternalltag. Dabei
möchten wir uns das Synergetische Navigationssystem (SNS), ein
internetbasiertes System, das vom Institut für Synergetik und
Psychotherapieforschung der PMU am Standort Salzburg entwickelt
wurde, zunutze machen. Es dient zur Prozessüberwachung und -steuerung
in der Psychotherapie und Beratung. Bei der Vorgehensweise denken wir
an tägliche Kurzbefragungen. So lassen sich Tag-für-Tag-Muster und
ihre Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung besser verstehen.
Zur Studie: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2025.1582698
Zwtl.: Suche nach Vätern zur Smart.Daddy Studie!
Smartphones sind Teil des Familienalltags, doch unklar ist, wie
Babys auf die Ablenkung ihrer Väter durch Smartphones reagieren.
Unsere Studie untersucht, wie sich väterliche Smartphone-Nutzung auf
das Stresslevel von Vätern und ihren Babys (4–7 Monate) auswirkt und
ob es Schutzfaktoren für das Kind gibt.
Dafür suchen wir Väter, die mit ihrem Kind (4-7 Monate) an einer
etwa einstündigen Untersuchung am Institut für Early Life Care (PMU
Salzburg) teilnehmen. Die Interaktion wird videografiert und die
Herzfrequenz gemessen. Vorab ist ein kurzer Online-Fragebogen
auszufüllen. Für die Teilnahme gibt es 30 Ꞓ und eine kleine
Aufmerksamkeit.
Mehr Informationen zur Smart.Daddy Studie:
https://www.pmu.ac.at/early-life-care/smartdaddy




