Wien (OTS) – Burnout trifft immer mehr Führungskräfte.
IBG-Arbeitspsychologin
Regina Nicham spricht im Interview über Warnsignale, Schutzfaktoren
und konkrete Schritte für gesunde Führung.
– Führung unter Dauerstrom: Permanente Erreichbarkeit, steigender
Druck und komplexe Verantwortung machen auch Führungskräfte zunehmend
anfällig für Erschöpfung und Burnout.
– Warnsignale früh erkennen: Wer Veränderungen in Schlaf,
Konzentration oder Stimmung bemerkt, sollte diese ernst nehmen – denn
Burnout beginnt oft schleichend.
– Selbstfürsorge als Führungsaufgabe: Gesunde Führung startet mit
Eigenverantwortung – Pausen, klare Grenzen und bewusste Erholung sind
kein Luxus, sondern Voraussetzung für Leistungsfähigkeit.
– Vorbildwirkung zählt: Führungskräfte, die selbst gesund mit
Belastungen umgehen, schaffen Vertrauen, stärken ihr Team und fördern
eine nachhaltige Unternehmenskultur.
Frau Nicham, Burnout betrifft nicht nur Mitarbeiter:innen,
sondern auch Führungskräfte. Woran merken Führungskräfte selbst, dass
„die Belastung kippt“?
Die „Kipp-Punkte“, an denen Überforderung in ernsthafte
Erschöpfung übergeht, sind nicht immer leicht zu erkennen.
Entscheidend dabei ist die Veränderung zum eigenen Normalzustand.
Zentrale Warnzeichen, an denen Führungskräfte selbst merken können,
dass „die Belastung kippt“ sind: Schlafprobleme, Antriebslosigkeit,
innere Unruhe und Grübeln, man schaltet nach Feierabend nicht mehr ab
und nimmt Themen mit in die Nacht. Auch
Konzentrationsschwierigkeiten, Vergesslichkeit, längere
Bearbeitungszeiten sowie das Gefühl, gedanklich „kleben zu bleiben“.
Körperlich zeigen sich häufiger Kopfschmerzen, Verspannungen oder
diffuse Schmerzen sowie eine vermehrte Infektanfälligkeit. Im
Verhalten zeigen sich oft Gereiztheit, sinkende Empathie,
Leistungsabfall und sozialer Rückzug, Treffen mit Freund:innen oder
sogar Familienzeit werden als Belastung erlebt. Dazu kommen
ungünstige Gewohnheiten wie mehr Rauchen, ungesundes oder emotionales
Essen oder auch steigender Alkoholkonsum. Entscheidend ist, diese
Verschiebungen bei sich wahrzunehmen, anstatt sie wegzuschieben.
Neigen Führungskräfte besonders dazu, sich mit Substanzen „zu
pushen“?
Ich würde das nicht ausschließlich an der Rolle festmachen, wobei
die Frage grundsätzlich mit „ja“ zu beantworten wäre. Ausschlaggebend
sind der erlebte Druck und die Frage wie weit es möglich und erlaubt
ist selbst „Schwächen“ zu zeigen. Kritisch sind sogenannte Sandwich-
Positionen. Erwartungsdruck von oben und unten, weniger
Handlungsspielraum, zugleich hoher Anspruch an die eigene Performance
– und die Angst, nicht zu entsprechen. Das erhöht das Risiko für
ungesunde Kompensationsstrategien. Aber wie bereits erwähnt, betrifft
das nicht nur Führungskräfte; Menschen unter ständigem Leistungsdruck
greifen allgemein eher dazu.
Gibt es Persönlichkeitsstrukturen, die stärker gefährdet sind?
Die Ursachen sind immer multifaktoriell. Persönliche Faktoren wie
ein sehr hoher Perfektionsanspruch, sehr hohe Ansprüche und
Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen, können das Risiko erhöhen – wenn
sie auf Systeme treffen, die Übergrenzen-Gehen belohnen. Genauso gibt
es aber Schutzfaktoren im Arbeitsumfeld wie eine gesunde Fehler-,
Anerkennungs- und Pausenkultur, klare Erwartungen und gelebte
Wertschätzung. Bei solch einem Nährboden können Menschen mit
denselben persönlichen Tendenzen auch gut zurechtkommen. Es ist das
Zusammenspiel von Person und System.
Und wenn das Unternehmen diese Schutzfaktoren (noch) nicht bietet
– wie komme ich da raus?
Gute Nachricht: Wir sind nicht hilflos, auch wenn es sich
manchmal so anfühlt. Eigenverantwortung kann heißen, klare Grenzen zu
benennen und aufzuzeigen, Erholung aktiv einzuplanen, Unterstützung
einzufordern – Urlaub, Pausen, Vertretung. Oft lässt sich im „eigenen
Kreis der Einflussnahme“ überraschend viel gestalten. Wenn allerdings
grundlegende gesundheitsförderliche Praktiken dauerhaft fehlen und
nicht geduldet werden, braucht es Mut zur Konsequenz – bis hin zum
Systemwechsel. Die langfristige persönliche Gesundheit sollte immer
vorgehen.
Welche Unterstützung ist in kritischen Sandwich-Rollen besonders
hilfreich?
Selbstreflexion und Ehrlichkeit auch sich selbst gegenüber wie
auch Coaching, Supervision oder arbeitspsychologische Beratung –
präventiv und anlassbezogen. Reflexion der Führungsrolle sowie der
Führungskultur, der erlebten Belastungen oder auch herausfordernder
Situationen im Team; Training in Gesprächsführung und Früherkennung
psychischer Belastungen sowie Raum für Selbstmanagement: Erholung,
Abgrenzung, Priorisierung. Unternehmen, die Budgets und
niederschwellige Zugänge dafür schaffen, investieren direkt in die
Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Führungskräfte und damit auch
in jene der Mitarbeiter:innen.
Wie können Organisationen Rahmenbedingungen schaffen, um
Belastungen offen zu thematisieren?
Indem sie das Thema sichtbar machen: Sensibilisierungsvorträge,
Workshops zu Stress- und Burnout-Prävention, praktische Pausen-
Guidelines oder auch Rückzugsorte. Führungskräfte sollten Pausen
vorleben – gemeinsam Mittagessen, auch mal den „Kaffeetratsch“
zulassen. Wichtig sind klare Regeln zur Erreichbarkeit, besonders im
Homeoffice: Was wird erwartet – und was nicht ? Transparenz
verhindert Fantasien und beruhigt Druck. Ebenso zentral: soziale
Verbundenheit stärken – Teamtreffen, Rituale, Formate, in denen man
sich fragt „Wie geht’s dir wirklich?“. Dazu gehört die Fähigkeit,
Veränderungen anzusprechen: „Ich habe bemerkt … Wie geht es dir
damit?“ Diese Gesprächskultur stärkt Vertrauen und senkt die Hürde,
früh Hilfe zu holen.
Begleitet IBG Unternehmen dabei konkret?
Ja. Zum einen präventiv: Wir machen Burnout-Prävention greifbar,
klären Rollen von Führung – was gehört dazu, was nicht – und stärken
persönliches Selbst- und Stressmanagement. Zum anderen systemisch:
mit regelmäßigen Erhebungen, etwa der Evaluierung psychischer
Belastungen und – wenn gewünscht – einem Burnout-Monitoring-Modul. So
machen wir Risiken sichtbar und priorisieren Maßnahmen. Anlassbezogen
unterstützen wir mit arbeitspsychologischer Beratung, Coaching und
Führungskräfte-Sparring – bis hin zur Fall- und Teamanalyse, wenn
vermehrt Krankenstände oder Fluktuation auftreten.
Was ist Ihr wichtigster Rat an neue Führungskräfte?
Gesunde Führung beginnt bei mir. Wie das Herz den Körper
versorgt, versorge ich als Führungskraft mein Team – aber das gelingt
nur, wenn ich selbst gut versorgt und gestärkt bin. Kernpunkte:
erstens Erholung . Regeneration ist kein Luxus, sondern
Leistungsgrundlage – Pausen, Urlaub, bewusste Unerreichbarkeit.
Zweitens Realismus und Klarheit : Ziele gemeinsam auf Machbarkeit
prüfen, transparent kommunizieren – auch Ungewissheit oder Grenzen.
Das baut Vertrauen und Teamresilienz auf. Drittens Erfolgserlebnisse
sichtbar machen : Stärken und das, was gelingt, regelmäßig würdigen –
im Team und für sich selbst. Viertens Erreichbarkeit steuern : klare
Regeln leben und Erwartungen bzw. Nicht-Erwartungen aussprechen.
Fünftens Soziales fördern : Verbindung ist ein Schutzfaktor – auch
als Ritual. Viele Teams starten Meetings mit einer Runde: „Was ist
mir/ uns die letzte Woche gut gelungen, was ist gut gelaufen?“ Das
ändert den Fokus, stärkt, gibt Energie und macht Erfolge greifbar.
Also auch kleine, wiederkehrende Rituale?
Unbedingt. Rituale verankern Kultur. Eine Minute Positives zu
Beginn, ein kurzer „Pulse-Check“ zur Belastung am Ende – das kostet
wenig und wirkt stark. Zu viel reiner Pragmatismus lässt die
Beziehungsebene verkümmern. Doch genau sie trägt uns durch
herausfordernde Phasen.
IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH ,
gegründet 1995, ist mit über 200 Mitarbeiter:innen, davon 80
Arbeitsmediziner:innen, Österreichs größte Unternehmensberatung im
Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. IBG ist in ganz
Österreich vertreten.
Mag.a Regina Nicham ist Leiterin der IBG-Arbeits- und
Organisationspsychologie. Mit dem Schwerpunkt auf der Förderung einer
gesunden Arbeitsumgebung unterstützt sie Unternehmen dabei, eine
positive Mental-Health-Kultur zu schaffen.




